Kategorie: KMU


Letzte Aktualisierung: 23.09.2019


Unter dem Schlagwort „Industrie 4.0“ wird die Digitalisierung der Industrie, insbesondere des produzierenden Gewerbes verstanden. Schlüsseltechnologie der Industrie 4.0 sind Cyber-Physische Systeme (CPS). CPS erlauben es produzierenden Unternehmen ihre Produktentwicklung und Produktionssysteme und damit ihre Produkte zu individualisieren.

Zum Begriff

Warum Industrie 4.0? Der Versionsnummer 4.0 liegt die Annahme zugrunde, dass die Einführung von CPS einen Umbruch auslöst, wie er zuvor nur durch drei andere „Revolutionen“ zu beobachten war [1, S.10]: 1. der Einführung der Dampfmaschine Ende des 18. Jahrhunderts, 2. der Erfindung des Fließbands als Voraussetzung für die industrielle Massenfertigung Ende des 19. Jahrhunderts und schließlich 3. der Entwicklung der elektronischen Steuerung (also Computer) als Treiber der Industrieautomatisierung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Aber Vorsicht: Zur Zählweise von industriellen Revolutionen gibt es heute unterschiedliche Ansätze. Der berühmte US-amerikanische Soziologe, Ökonom und Publizist Jeremy Rifkin beispielsweise vertritt in seinem im August 2014 auf Deutsch erschienenen Buch „Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft“ die These, dass aktuell Hinweise auf eine dritte industrielle Revolution vorliegen. Konkret spricht er davon, dass mit der nahezu kostenfrei möglichen weltweiten Vernetzung, Kommunikation und Datenverarbeitung der erste Schritt hin zu einer neuen Wirtschaftsordnung geteilter Wirtschaftsgüter (~ Shareconomy) zu erkennen ist.

Industrie 4.0 ist eine Forschungsagenda

Dem Umstand, dass sich viele deutsche Industrieunternehmen bislang der Digitalisierung entziehen, sind auch die großangelegten Förderinitiativen der Bundesregierung bzw. des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BmBF) zu verdanken. Das Problem: Praktische, schnell anwendbare Out-of-the-Box-Lösungen oder methodische Umsetzungsleitfäden oder Empfehlungen existieren kaum. Fehlende Standards erlauben derzeit noch nicht einmal belastbare Aussagen darüber, welche Technologien für die Industrie 4.0 als erfolgskritisch einzuschätzen sind. Der Begriff Industrie 4.0 muss deswegen noch als Forschungsagenda verstanden werden.

Aber selbst vor dem Hintergrund einer breit angelegten Forschungsagenda wird der Begriff Industrie 4.0 beliebig breit und vielfältig interpretiert und verstanden. Einzig zudem, was am Ende der Industrie 4.0 stehen soll, ist zuletzt eine zunehmend einheitliche Sichtweise zu erkennen: Im Mittelpunkt steht dabei der Weg hin zu einem optimalen Zusammenwirken von Mensch, Maschine und IT-Systemen im industriellen Kontext, also in Fabriken. Industrie 4.0 ist deswegen kein rein technisches Thema, sondern ein ganzheitlicher Ansatz zur Beantwortung von Technik-, Organisations- und Personalentwicklungsfragen.

Cyber-Physische Systeme (CPS)

Eine Kernidee der Industrie 4.0 ist es, dass intelligente Monitoring- und Entscheidungsprozesse Unternehmen dabei helfen, ihre Wertschöpfungsnetzwerke in nahezu Echtzeit zu steuern und zu optimieren. Umgesetzt werden solche intelligenten Monitoring- und Entscheidungsprozesse durch Cyber-Physische Systeme (CPS). Dazu werden Produktionssysteme um intelligente Sensoren (zur Wahrnehmung ihrer Umwelt) und Aktoren (zur Beeinflussung ihrer Umwelt) erweitert. So sollen sich Produktionssysteme selbst optimieren und rekonfigurieren können, um sich verändernden Aufträgen und Betriebsbedingungen anzupassen.

Dabei verändert sich auch die Rolle von Menschen im Produktionssystem: Mitarbeiter werden in der intelligenten, vernetzten Produktion zum flexibel agierenden Problemlöser werden. Menschen sind nicht mehr „Bediener“, sondern „Regulierer“ und „Steuerer“.

Technisch gesehen basieren CPS auf zwei Technologieentwicklungen [1, S.10]: Erstens, hochleistungsfähigen „Kleinstcomputern“. Gemeint sind eingebettete Systeme, die in alle möglichen Materialien und Gegenstände integriert werden können und die über Sensoren und Aktoren eine Vielzahl an Umgebungsdaten erfassen, verarbeiten und beeinflussen können. Zweitens, leistungsstarke Datennetze, die die notwendige Verarbeitung großer Datenmengen ermöglichen.

CPS verknüpfen beide Technologieentwicklungen zu digitalen Netzwerken aus physischen Objekten wie z. B. Maschinen oder Produktbestandteilen. Erhalten solche physischen Objekte eine IP-Adresse (mit IPv6 stehen nahezu unbegrenzt IP-Adressen zur Verfügung), werden die Objekte steuerbar und können zudem vernetzt werden. So entsteht ein „Internet der Dinge“, in dem jedes Objekt mit jedem anderen Objekt nahezu in Echtzeit Daten austauschen kann. Der Clou: In einem solchen Netz sind jederzeit aktuelle Informationen über den Zustand von Maschinen und ihrer Umgebung abrufbar. Selbst über große räumliche Distanzen können so hochkomplexe technische Prozesse gesteuert werden. Mit CPS wird die Wertschöpfung über den gesamten Produktlebenszyklus kontrollierbar.

Industrie 4.0 als Investitionsrisiko

Die Industrie 4.0 und der damit verknüpfte Wandel bedeuten für Unternehmen des produzierenden Gewerbes eine gravierende, nahezu vollständige Transformation und damit einhergehend auch erhebliche Investitionen. In einer Bitkom-Befragung zum Stand Deutschlands in Bezug auf Industrie 4.0 von 2018 gab kein Unternehmen an, nicht in entsprechende Lösungen zu investieren. Allein die deutsche Industrie soll bis 2020 jährlich 40 Milliarden Euro investieren. Die Ziele sind dabei für über 50% Verbesserte Prozesse, und Verbesserte Kapazitätsauslastung.

Eben diese hohen Investitionskosten sind auch der größte Grund, warum viele Firmen zunächst nur Teile ihrer Fertigung mit Ansätzen der Industrie 4.0 konfrontieren oder sogar noch abwarten. Laut Bitkom Befragung sind die nächst-größten Hemmnisse für Unternehmen die Anforderungen an den Datenschutz und Datensicherheit, sowie Fachkräftemangel, Komplexität und Fehlende Standards.

Literatur

[1] Zukunftsbild Industrie 4.0, Bundesministerium für Bildung & Forschung, 2013.

[2] Industrie 4.0 – Chancen und Herausforderungen der vierten industriellen Revolution, pwc, 2015.


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Die Digitalisierung überrennt Gesellschaft, Unternehmen und jeden Einzelnen von uns mit unvorstellbarer Dynamik und Wucht. Während manche Auswirkungen in unserem Alltag sichtbar und spürbar sind, bleibt vieles andere vage und im Verborgenen. Das Bild eines Eisbergs beschreibt diese Situation treffend. Wir sehen v. a. das, was über der Wasseroberfläche zu erkennen ist. Das jedoch, was unterhalb des Wasserspiegels verbleibt, ist weitestgehend unbekanntes Land. Dieses unbekannte Land greift das Blog „Ereignishorizont Digitalisierung“ auf. Es geht um Neuland-Missverständnisse, Gar-Nicht-So-Weit-Weg-Zukunftsfantasien und What-the-Fuck-Momente. Sicher selektiv. Immer auch subjektiv! Besondere Zielgruppe sind Entscheider und Gestalter der Digitalisierung und Digitalen Transformation.


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